Am 5. Januar 1945 wurde ich zum RAD (Reichsarbeitsdienst) nach Rastenburg im damaligen Ostpreußen eingezogen. Ich war damals 16 Jahre alt. Durch die Wirren des Krieges waren wir kein Arbeitsdienst mehr, wir wurden eine Wehrmachtstruppe, ausgerüstet mit Gewehren, die in Russland erbeutet waren. Die Ausbildung dauerte nur eine Woche, dann kam plötzlich die Vereidigung und ab da lagen wir in Alarm. Mein Bruder Heinrich Rollwage war in Angerburg (Ostpreußen) bei der Flak. Wir waren ca. 25 km auseinander. Während dieser Zeit hörten wir schon das Schießen der russischen Artillerie.
Für unsere Feldküche wurden zwei Mann gesucht. Ich habe mich dazu gemeldet, jedoch hatten sich mehrere Kameraden beworben. Ich wurde abgelehnt, wie sagte man: „Pech gehabt“. Einmal mussten wir in der Alarmzeit mit dem Fahrrad zu der Wolfschanze, ca. 8 – 10 km und dort Wache stehen. Wir wussten jedoch nicht, dass wir beim Führerhauptquartier waren. Wir standen auf größeren Hügeln, unter uns sahen wir die Bunker des Führerhauptquartiers. In der nächsten Nacht wurden wir aus den Betten getrommelt und es ging mit dem Fahrrad, mit denen wir im tiefen Schnee und bei - 20 Grad kaum fahren konnten, in Richtung Korsehen-Prassen. Hier lagen wir in der HKL (Hauptkampflinie), die Granaten flogen über unsere Köpfe. Wir waren kurz in einem landwirtschaftlichen Betrieb, die Kühe brüllten im Stall, aber es war keiner mehr da, der die Tiere gemolken oder gefüttert hat. Der Rückzug ging über Bartenstein-Preussisch Eylau. Hier war kaum noch Zivilbevölkerung anzu-treffen, die befanden sich fast alle auf der Flucht. Als wir dann weiter kamen über Zinnten-Heiligenbeil, waren die Straßen voller Flüchtlinge, das waren wohl die Letzten, die auf der Flucht waren. Es war grauenvoll dort, neben der Straße lagen die Leichen von Kindern, Frauen und älteren Leuten, dazwischen tote Pferde und zerbrochenen Flüchtlingswagen.
Zwischenzeitlich waren die russischen Truppen im südlichen Ostpreußen durch-gestoßen und damit waren wir von den feindlichen Truppen auf dem Landweg eingeschlossen. Bei Heiligenbeil fuhren wir mit dem Fahrrad übers frische Watt nach Narmeln auf der Nehrung. Das Wasser war gefroren, jedoch stand auf dem Eis ca. 10 cm Wasser. Dieses kam nicht vom Tauen, sondern russischen Flugzeugen warfen Bomben auf die brüchige Eisdecke, um den Rückzug bzw. die Flucht zu verhindern. Viele Menschen haben Narmeln nicht erreicht und ertranken. Auch unsere Feldküche, besetzt mit zwei Mann und 2 Pferden, brach durch das dünne Eis und alle fanden im eiskalten Wasser den Tod. Mein Glück war, dass ich nicht zur Feldküche gekommen bin.
Als wir über Narmeln in Stutthoff ankamen, lebten von 120 Mann unserer Abteilung (Kompanie) noch 36 Mann. Ein Teil der Kameraden lag mit erfrorenen Gliedern im Lazarett, die Übrigen waren umgekommen.
In Danzig angekommen, wo wir einige Tage waren, plagten uns Läuse und nachts kamen in den alten Baracken noch die Wanzen dazu. Zum Glück wurden wir nach Bayern verlegt und kamen in die Nähe von Regensburg. Die Fahrt war mit einem Güterzug, in dem wir kein Stroh zum Liegen hatten. Die Fahrt dauerte genau eine Woche, davon benötigten wir ein Tag nur durch das zerstörte Berlin.
Inzwischen war ich 17 Jahre alt geworden. Nach ca. einer Woche in der Nähe Regensburg hatten wir unsere 10 Wochen Pflichtdienst beim RAD geleistet und hofften, nach Hause zu kommen. Jedoch wurden wir geschlossen am 15. März der Wehrmacht übergeben.
In München wurden wir neu aufgeteilt. Ich kam ich nach einer Woche Ausbildung nach Füssen (Allgäu) an die Front. Durch die starken amerikanischen Truppen wurden wir zum Rückzug gezwungen und kamen am 2. Mai in der Nähe von Fürsten-feldbruck in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Wir wurden nach Heilbronn gebracht, wo ein großes Gefangenenlager war. Es waren dort ca. 600 000 Gefangene. Nach 3 Tagen kam die erste Verpflegung, für 100 Mann gab es ein Brot.
Nach ca. 3 Monaten Gefangenschaft hinter Stacheldraht kam ich im August nach Hause. Die Reise von Heilbronn bis Jerstedt dauerte sechs Tage, teils auf Kohle-waggons, teils zu Fuß. Von Frankfurt bis Göttingen fuhren wir mit einem LKW ohne Plane mit ca. 25 Leuten. Dieser Wagen fuhr nach Braunschweig, da aber zu der Zeit um 20.00 oder 21.00 Uhr Sperrstunde war, mussten wir in Göttingen absteigen. Der LKW hatte Sondergenehmigung und konnte weiterfahren. Das war am Freitagabend, erst am Montagmittag erreichte ich meinen Heimatort Jerstedt.
Wilhelm Rollwage
Fleischermeister
Jerstedt